9.2 Evolution im Labor: Bakterien

An dieser Stelle finden Sie über den Inhalt des Buchs „Evolution - ein kritisches Lehrbuch“ hinaus einen zusätzlichen Text zum Kapitel 9.2 „Evolution im Labor: Bakterien“.


Neue Stoffwechselwege durch Regulationsmutationen

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Abb. 1

In den im Lehrbuch in IV.9.2.1 geschilderten Fällen der Antibiotika-Resistenzbildung handelt es sich um eine Anpassung an Umweltbedingungen, ohne dass bei diesen Organismen der angebotene Stoff verwertet wird. Die Verwertung eines neuen Stoffes aber erschließt dem Bakterium neue Lebensräume. Darum geht es im Folgenden.

Die Menge eines Enzyms in der Zelle wird oft von einem Regulatorgen kontrolliert, welches für ein Regulationsprotein (z.B. Repressor) codiert. Für das Verständnis des folgenden Evolutionsbeispiels müssen wir zunächst ein wichtiges Grundprinzip der Genregulation bei Bakterien erläutern. Gene sind in Bakterien in Form von Operons angeordnet (Abb. 1). Zu einem Operon gehören ein Promotor, ein Operator und ein Terminator (das sind die Regulationssequenzen auf der DNS). Zwischen Operator und Terminator liegen ein oder mehrere Strukturgene, welche in unserem Beispiel für die Enzyme A, B und C codieren. An den Promotor bindet die RNS-Polymerase, welche die Synthese von messenger-RNS katalysiert (Abb. 2 = Abb. 8.2 im Lehrbuch). Dies kann nur geschehen, wenn der auf den Promotor folgende Operator frei vorliegt. Der Terminator ist eine besondere Struktur auf der DNS, an welcher die RNS-Polymerase ihre mRNS-Synthese abbricht.

Nun kann es sein, dass der umzusetzende Stoff W im Wuchsmedium der Bakterien gar nicht vorkommt (Abb. 1A). In diesem Falle wäre es nicht sinnvoll, wenn die Enzyme gebildet würden, die W abbauen. Dies wird durch das Repressorprotein verhindert, welches von einem Repressorgen an anderer Stelle der DNS codiert wird und immer in der Zelle vorliegt (konstitutive Genexpression). Es bindet in Abwesenheit des umzusetzenden Substrates (hier: W) an den Operator und verhindert so die mRNS-Synthese. Liegt der umzusetzende Stoff W aber im Nährmedium vor (Abb. 1B), bindet dieser an das Repressorprotein, welches dadurch inaktiviert wird; es fällt vom Operator ab, wodurch die mRNS-Bildung und damit die Enzymsynthese eingeschaltet werden (Enzyminduktion durch das Substrat). Die Enzyme, die den Stoff W in einer mehrstufigen Reaktionskette durch die Enzme A, B und C zum Endprodukt Z umsetzen, werden jetzt in großer Menge zur Verfügung gestellt.

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Vom Gen zum Protein. A Die Erbinformation wird in der Sequenz der DNS-Basen A, T, C und G gespeichert und vererbt (vgl. Abb. 8.1).Wasserstoffbrückenbindungen sorgen dabei stets für korrekte Basenpaarung. B Ein komplizierter Enzymkomplex (RNS-Polymerase) stellt eine Arbeitskopie des Gens her,welche als messenger-RNS (mRNS) bezeichnet wird (in RNS wird Uracil statt Thymin verwendet). C Eine noch weit kompliziertere molekulare Maschine (Ribosom) ermöglicht, dass aminosäuretragende transfer-RNS-Moleküle an die Basentripletts der mRNS angelagert werden. D Diese Aminosäuren werden am Ribosom zu einer wachsenden Kette verbunden. E Die Aminosäurekette faltet sich, meist unter Mitwirkung von Hilfsproteinen, zum funktionalen Protein. (Zeichnung nicht maßstabsgetreu)

Die Bakterienzelle verfügt über zahlreiche Operons zur Synthese oder zum Abbau verschiedenster Moleküle. In Abb. 3 oben ist noch ein zweites Operon dargestellt, welches nur ein Strukturgen enthält. Das codierte Enzym E setzt das Molekül I zum Endprodukt P um.

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Abb. 3

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Abb. 4

Nach diesem Ausflug in die Bakteriengenetik betrachten wir einen Evolutionsvorgang, welcher für Bakterien verschiedentlich beschrieben wurde (Abb. 3 unten). Das Enzym C sei relativ spezifisch, d.h. es kann nur den Stoff Y sehr gut umsetzen. Der chemisch ähnliche Stoff S kann zwar mit sehr geringer Reaktionsgeschwindigkeit durch das Enzym C zum Produkt I umgesetzt werden (geringe Substrataffinität), ist aber nicht in der Lage, die Synthese der Proteine A, B und C zu induzieren. So kann der Stoff S von der Wildtypzelle nicht genutzt werden. Eine Mutation im Operator kann nun zur Folge haben, dass der Repressor nicht mehr an den Operator binden kann. Dadurch kommt es zur konstitutiven (andauernden) Synthese der Enzyme A, B und C. Enzym C kann jetzt in Abwesenheit von W bis zum 1000-fachen seiner sonstigen Konzentration vorliegen. Damit ist die Umsetzung des Stoffes S zum Stoff I möglich. Der Stoff I hingegen kann durch das von einem zweiten Operon gebildete Enzym E zum Produkt P umgewandelt werden. Durch eine einzige Mutation verfügt das Bakterium damit über den „neuen“ Reaktionsweg S I P und kann mit S als einziger Kohlenstoffquelle leben.

Es lässt sich zeigen, dass bei einem Wildstamm von Aerobacter aerogenes gerade die eben beschriebene Situation vorliegt. A. aerogenes kann nicht auf Xylit als einziger Kohlenstoff-Quelle wachsen (Abb. 4). Es wurden jedoch Mutanten gefunden, die Xylit verwerten, d.h. darauf wachsen konnten. Diese Fähigkeit wurde durch die Derepression (d.h. Aufhebung einer Hemmung, indem ein Repressor inaktiviert wird) des Ribitdehydrogenase (RDH)-Gens erreicht. RDH kann zwar Xylit umsetzen, wird aber nicht durch Xylit induziert, d.h. Xylit kann nicht die Synthese der Ribitdehydrogenase auslösen. Nach Mutation zur konstitutiven Synthese des Enzyms kann schließlich Xylit durch RDH in D-Xylulose umgesetzt werden. Xylulose aber ist Zwischenprodukt des D-Arabit-Stoffwechsels, so dass nun eine neue Kohlenstoff-Quelle zur Verfügung steht. Voraussetzung dafür ist die Präexistenz der zwei Abbauwege von Ribit und Arabit.

Der eben beschriebene Evolutionsvorgang beruht also auf der Zerstörung einer Regulationsfunktion und hat außerdem keine neue Proteinstruktur erzeugt. Zur Erhöhung der biochemischen Leistungsfähigkeit genügt oft schon der Verlust der Regulierbarkeit durch Veränderung des Repressors oder der Bindungsstelle am Regulatorgen. Ein Aminosäureaustausch in einem Enzym kann dessen räumliche Struktur so verändern, daß die Substratspezifität verändert wird. Der Grundbauplan des Enzyms bleibt aber erhalten.


Studiengemeinschaft WORT und WISSEN e.V.
Letzte Änderung: 01.01.2007
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